Freitag, 21. November 2014

Erörterung Nr. 3

  Erörterung zu Lukas Bärfuss’ „Hundert Tage“

These I

Es wurde die These in den Raum gestellt, dass sich David Hohl, Hauptfigur aus „Hundert Tage“, mit seinem Verhalten in Ruanda zwischen 1990 und 1994 schuldig gemacht hat.
Es ist anzunehmen, dass sich diese Schuld auf den Genozid, der damals an den Tutsi, im Buch „die Langen“ genannt, beziehen soll. Ich werde versuchen, die aus meiner Sicht wichtigsten Fakten, die für bzw. gegen diese These sprechen, darzustellen und zu hinterfragen.


David Hohl selbst erklärt im Buch mehrere Male, dass er und die Direktion grundsätzlich gewusst hätten, dass die Schweizer Entwicklungshilfe in Ruanda sozusagen missbraucht wurde. Dies wird zum Beispiel deutlich auf Seite 123/124 des Buchs. Es wird erklärt, dass die Schweizer Hilfe beim Bau von Radiostationen und der Ausbildung von Journalisten zu schlechten Taten geführt hat. Insbesondere haben die Journalisten in Kigali das Radio als Propagandamittel benutzt und zu Morden an den Tutsi, an dieser Stelle „Kakerlaken“ genannt, aufgerufen. Das Wissen über den Missbrauch der Hilfeleistungen sowie die Tatsache, dass trotzdem nicht gehandelt wurde, lassen David Hohl und die Direktion zumindest mitschuldig an den grausamen Taten erscheinen, die zu jener Zeit in Ruanda begangen wurden.

Davids Teilnahme an den „Hetzversammlungen“ der „Kurzen“, die er mit Agathe besucht (S. 133) scheint ebenfalls auf seine Mitschuld hinzuweisen, oder zumindest fragwürdig zu sein. Mit seiner offensichtlichen Unterstützung der Taten, die an den Tutsi verübt werden, macht David sich schuldig. Dies vielleicht nicht direkt an den Morden, aber doch an der Saat des Hasses gegen die „Langen“ ,welche an der Versammlung gesät wird.

Woran David Hohl in seiner Zeit in Ruanda ebenfalls klar schuldig zu sein scheint, ist der Mord an seinem Gärtner Théoneste durch den Milizionären Vince und seine Anhänger.
David sieht, wie Théoneste seine Identitätskarte, welche ihn zweifelsfrei von Tode bewahrt hätte, aus der Tasche fällt (S. 194).  David macht keine Anstalten den Gärtner auf diesen Verlust hinzuweisen. Auch dann noch nicht, als Vince ihn vor das Haus führt, um ihn zu töten.
David macht zwar deutlich, dass der Tod von Théoneste seiner Meinung nach nur eine gerechte Strafe für dessen Mord an der Haushälterin Erneste sei. Dies rechtfertigt aber in keiner Weise sein Fehlverhalten, noch mindert es seine Mitschuld an jenem Mord.


Auf der Seite 129 macht David deutlich, dass er bzw. die Direktion eine lange Zeit geglaubt hätten, dass die Morde und Verfolgungen lediglich auf die Politiker und Militärs zurückzuführen seien, welche mit der Lage überfordert wären. Dies scheint als Argument gegen die Schuld von David am Völkermord. Er selbst bemühte sich, wenigstens in seinem eigenen, kleinen Tätigkeitsfeld die Ordnung aufrecht zu erhalten und arbeitete weiter wie bisher. Er sah nicht ein, warum er der Regierung Leistungen kürzen sollte. Die Beamten waren seiner Ansicht nach ja nur kurzzeitig mit der Situation überfordert. Das alles würde sich wieder einpendeln. David erwähnt auch einmal, die Beamten, welche die Direktion um Hilfeleistungen bitten würden, zeigten ihm während der Bürozeiten ein anderes Gesicht als nach Feierabend. Am Tag wären sie ehrliche Menschen, die wirklich etwas verändern wollten und am Abend würden sie mit den Mitteln, die sie bekommen haben, den Genozid vorantreiben. Damit, dass trotz dieser Einsicht noch Hilfeleistungen ausgesprochen werden, scheint sich niemand wirklich schuldig zu machen. Es ist ja die ganze Aufgabe der Direktion, diese Hilfe zu leisten. Wenn sie nun missbraucht wird, ist dies nicht primär die Schuld der Entwicklungshelfer.


Als David 1994 mit Vince und seine Kumpanen schließlich aus Kigali flüchtet, fühlt er sich schuldig, dass er offensichtliche Mörder zu seinen Freunden nimmt. Allerdings ist David nur um sein eigenes Leben bedacht und die Tatsache, dass er sich zu diesem Zweck mit Mördern verbündet, erscheint durchaus legitim. Dies, weil Davids Flucht mit Ihnen nichts mehr an den Taten, die sie begangen haben, ändern kann und die Zusammenarbeit aus einem ganz anderen Grund erfolgt.


Etwas, das ebenfalls für Davids Unschuld am Genozid sprechen mag, ist seine Meinung bzw. seine politische Einstellung. Offensichtlich sind die Hutus oder „die Kurzen“ eine Mehrheit im Volk. David als Demokrat muss nun beinahe Ihre Meinung unterstützen, auch  wenn dies nur auf geistiger Ebene der Fall ist. Klar müssen er und die Direktion die Taten und Morde jener Leute verurteilen. Andererseits haben sie keine Chance, etwas gegen das Abschlachten der „Langen“ zu unternehmen. Wenn sie daher nicht einschreiten oder nur zaghaft protestieren macht sie das nicht zu Schuldigen am Genozid als Ganzes.






Abschließend kann ich sagen, dass David Hohl weder ganz schuldig noch ganz unschuldig ist. Im direkten Bezug auf die Massenmorde an den Tutsi kann David meiner Meinung nach nicht schuldig gesprochen werden, da er nicht an den Morden allgemein beteiligt war. Allerdings trifft David eine gewisse, recht grosse Schuld an einzelnen Taten, die verübt wurden. Auch wenn er nicht direkt daran beteiligt war, so ließ er doch schlimme Dinge geschehen, welche er hätte verhindern können. Die Verhinderung des Mordes an Théoneste zum Beispiel hätte David nicht einmal in Gefahr gebracht.
Ein ebenfalls fragwürdiger Aspekt an Davids Handlung ist, so denke ich, wie er zeitweise offen mit den Milizen sympathisiert.

Da ich allerdings nicht weiß, wie ich selber in einer solchen Situation gehandelt hätte, welche zweifellos sehr kompliziert und schlimm ist, steht es mir fern, David Hohl weder eindeutig schuldig noch eindeutig unschuldig zu sprechen.

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