Essay zu „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann
Phantome des Ichs
Es gibt Menschen, welche versuchen, Ihre Probleme und
Belastungen mit Hilfe einer rationalen Strategie zu bewältigen.
Es gibt Menschen, welche versuchen, Ihre Probleme und
Belastungen zu bewältigen, indem sie sich mit ihren Freunden, ihrer Familie
darüber unterhalten.
Es gibt Menschen, welche ihren Ängsten begegnen müssen um
sie dann zu besiegen.
Und es gibt Menschen, welche versuchen sich mit ihren
Ängsten und Problemen auseinanderzusetzen, indem sie sich in eine andere Welt
flüchten, die allen anderen verschlossen bleibt.
Sie beschäftigen sich solange und intensiv mit ihrer Angst,
bis sie glauben, dass diese Angst wirklich geworden sei.
Nathanael aus E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ scheint letzterem
Typus von Menschen anzugehören.
In seiner frühen Kindheit hörte er das Märchen des
schrecklichen Sandmanns, welcher den Kindern ihre Augen stiehlt und diese an
seine abscheulichen Kinder verfüttert. Er liegt nächtelang wach und zittert vor
Angst vor dieser Kreatur. Scheinbar nimmt diese Furcht einen so grossen Platz
im Bewusstsein des jungen Nathanaels ein, dass er sich in seinen Gedanken den
Advokaten Coppelius, welche tatsächlich existieren mag, zu seinem eigenen
Sandmann macht und auch schreckliche Erlebnisse hat mit ihm.
Dann, als der Advokat die Stadt verlässt, scheint Nathanael
seine Angst einigermassen überwunden zu haben. Doch als dann der
Wetterglasverkäufer Coppola vor seiner Haustür erscheint, wird einem klar, dass
Nathanael noch lange nicht über diese Horrorerlebnisse, welche er in seinem
Geiste durchlebt hat, hinweg ist. Vielmehr beginnt er sich wieder in seinem
Geiste die schlimmsten Ereignisse auszumalen.
Diese psychische Störung scheint nicht nur in der
literarischen Welt zu existieren sondern durchaus real zu sein.
Immer wieder hört man Geschichten von Leuten, die vor ihren
Schmerzen und Ängsten in eine andere Welt oder gar in eine andere Person
flüchten.
Es gibt Leute, die schizophren geworden sind, weil sie als
kleine Kinder misshandelt worden sind und keine Freunde hatten, mit denen sie
ihr Leid teilen konnten. Es gibt Leute wie Nathanael, deren Angst vor etwas so
stark ist, dass sie glauben ihre Alpträume seien tatsächlich passiert. Hinter
dieser obskuren „Krankheit“ scheint sich der Wunsch zu verbergen, seine Probleme
mit jemandem zu teilen. Nun sind aber diese Ängste zum Teil derart
aussergewöhnlich, dass sich die betroffene Person, so scheint es, schämt, diese
jemand anderem mitzuteilen. Gerade wegen diesem Mangel an Vertrauen zu anderen
versucht nun der „Kranke“ seine Befürchtungen auf eine spezielle Art mit sich
selbst zu teilen.
Nathanael „erfindet“ seinen Sandmann Coppelius nur, um
seiner Angst, dem grässlichen Sandmann endlich ein Gesicht zu geben. Dadurch
würde seine Angst konkreter und er könnte dann einfach Coppelius aus dem Weg
gehen um vor dem Sandmann zu flüchten.
Als nun der Wetterglasverkäufer Coppola, der Coppelius sehr
ähnlich zu sein scheint, bei Nathanael auftaucht ist dessen Angst wieder da wie
eh und je. Er verfällt in Panik, versucht seinem besten Freund Lothar in
Briefen seine Angst verständlich zu machen und sieht sich wieder in seine
Kindheit zurück versetzt.
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