Mittwoch, 4. März 2015

Phantome des Ichs

Essay zu „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann

Phantome des Ichs

Es gibt Menschen, welche versuchen, Ihre Probleme und Belastungen mit Hilfe einer rationalen Strategie zu bewältigen.
Es gibt Menschen, welche versuchen, Ihre Probleme und Belastungen zu bewältigen, indem sie sich mit ihren Freunden, ihrer Familie darüber unterhalten.
Es gibt Menschen, welche ihren Ängsten begegnen müssen um sie dann zu besiegen.
Und es gibt Menschen, welche versuchen sich mit ihren Ängsten und Problemen auseinanderzusetzen, indem sie sich in eine andere Welt flüchten, die allen anderen verschlossen bleibt.
Sie beschäftigen sich solange und intensiv mit ihrer Angst, bis sie glauben, dass diese Angst wirklich geworden sei.

Nathanael aus E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ scheint letzterem Typus von Menschen anzugehören.
In seiner frühen Kindheit hörte er das Märchen des schrecklichen Sandmanns, welcher den Kindern ihre Augen stiehlt und diese an seine abscheulichen Kinder verfüttert. Er liegt nächtelang wach und zittert vor Angst vor dieser Kreatur. Scheinbar nimmt diese Furcht einen so grossen Platz im Bewusstsein des jungen Nathanaels ein, dass er sich in seinen Gedanken den Advokaten Coppelius, welche tatsächlich existieren mag, zu seinem eigenen Sandmann macht und auch schreckliche Erlebnisse hat mit ihm.
Dann, als der Advokat die Stadt verlässt, scheint Nathanael seine Angst einigermassen überwunden zu haben. Doch als dann der Wetterglasverkäufer Coppola vor seiner Haustür erscheint, wird einem klar, dass Nathanael noch lange nicht über diese Horrorerlebnisse, welche er in seinem Geiste durchlebt hat, hinweg ist. Vielmehr beginnt er sich wieder in seinem Geiste die schlimmsten Ereignisse auszumalen.

Diese psychische Störung scheint nicht nur in der literarischen Welt zu existieren sondern durchaus real zu sein.
Immer wieder hört man Geschichten von Leuten, die vor ihren Schmerzen und Ängsten in eine andere Welt oder gar in eine andere Person flüchten.
Es gibt Leute, die schizophren geworden sind, weil sie als kleine Kinder misshandelt worden sind und keine Freunde hatten, mit denen sie ihr Leid teilen konnten. Es gibt Leute wie Nathanael, deren Angst vor etwas so stark ist, dass sie glauben ihre Alpträume seien tatsächlich passiert. Hinter dieser obskuren „Krankheit“ scheint sich der Wunsch zu verbergen, seine Probleme mit jemandem zu teilen. Nun sind aber diese Ängste zum Teil derart aussergewöhnlich, dass sich die betroffene Person, so scheint es, schämt, diese jemand anderem mitzuteilen. Gerade wegen diesem Mangel an Vertrauen zu anderen versucht nun der „Kranke“ seine Befürchtungen auf eine spezielle Art mit sich selbst zu teilen.
Nathanael „erfindet“ seinen Sandmann Coppelius nur, um seiner Angst, dem grässlichen Sandmann endlich ein Gesicht zu geben. Dadurch würde seine Angst konkreter und er könnte dann einfach Coppelius aus dem Weg gehen um vor dem Sandmann zu flüchten.
Als nun der Wetterglasverkäufer Coppola, der Coppelius sehr ähnlich zu sein scheint, bei Nathanael auftaucht ist dessen Angst wieder da wie eh und je. Er verfällt in Panik, versucht seinem besten Freund Lothar in Briefen seine Angst verständlich zu machen und sieht sich wieder in seine Kindheit zurück versetzt.


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